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Für mich soll es Neurosen regnen von Peter Wittkamp* ist ein Buch, welches das Leben des Autors mit seinen Zwangsstörungen beschreibt. Und das Leben hat es in sich. Im Wahrsten Sinne des Wortes.
Der Autor Peter Wittkamp ist definitiv nicht unbekannt. Er ist hauptberuflich Gagschreiber und begleitet die Berliner Verkehrsgesellschaft BVG seit einigen Jahren unter der Kampagne #weilwirdichlieben. Unter anderem war er als Schreiber für Jan Bömermann und auch Klaas Heufer-Umlauf tätig.
Seit mehreren Jahren bedient er außerdem die heute show online als Hauptautor. Der Instagram Kanal von Peter Wittkamp ist sehr gut besucht und auch auf dem Twitter Account @diktator ist eine Menge los.
Er ist also einzuordnen als Person des öffentlichen Lebens. Jedenfalls würde ich das so interpretieren.
Um eins direkt vorweg zu nehmen: Das Buch hat insgesamt hat 320 Seiten. Ich habe es gesuchtet, wie verrückt. Innerhalb einer knappen Woche habe ich es durchgelesen. Für so viele Seiten brauche ich in der Regel viel länger.
Einmal im fluss, lesen sich die Seiten fast von selbst. Der Autor ist halt Gagschreiber und versteht es die Menschen mit Anekdoten und Storytelling zu fesseln und gleichermaßen anzusprechen. Das merkt man definitiv. Es ist aber nicht penetrant komisch, sondern auf eine normale, leicht ironische Art. Das gefällt mir hervorragend.
Schluss mit der Beweihräucherung – Worum geht es denn eigentlich?
Für mich soll es Neurosen regnen ist jetzt nicht gerade ein Titel, welchen ich mir beim schmökern in der Stadt mal ansehen würde als „Ui, was ist das denn feines?“. In welchem Zusammenhang ich von Peter Wittkamp erfahren habe, weiß ich gar nicht mehr so genau.
Warscheinlich habe ich etwas gegoogelt und bin über 13251 Umwege bei ihm gelandet. Das Wort Neurose hat dann mein Interesse geweckt.
Ich selbst habe seit meiner Jugend so einige Ticks (wie ich sie gerne nenne), welche ich manchmal schon als irgendwie komisch empfunden habe. In gewisser Weise sind diverse Kontrollen normal, können aber schnell ausufern.
Seit dem Lesen des Buches denke ich da ganz anders drüber.
Der Autor nimmt dich mit in sein Leben. Er macht sich quasi komplett gläsernd, was für sich genommen schonmal Respekt verdient.
Das Buch handelt von Zwängen. Kontrollzwängen, magischen Gedanken, Neurosen eben. In der Fachsprache wird diese Art Krankheit als OCD betitelt.
OCD steht für Obsessive-compulsive disorder, also frei übersetzt „Besessen-zwanghafte Funktionsstörung“
Peter Wittkamp in „Für mich soll es Neurosen regnen“, Seite 27 (ebook Version)
Die Zwänge des Autors liest man mit einer Mischung aus Erstaunen und erschaudern. Aus einer kleinen Kontrolle, die manchmal sogar sinnvoll ist, entwickelt sich mit der Zeit ein riesiges Konstrukt aus Kontrollen und Kontrollen der Kontrollen…
Neben zahlreichen Kontrollzwängen leidet der Autor auch an magischen Gedanken. Darunter konnte ich mir anfangs recht wenig vorstellen. Doch diese werden wirklich sehr nachvollziehbar beschrieben.
Als Beispiel bringt er gerne alltägliche Sachen mit ins Spiel.
Er muss (!) jedes Hindernis auf einem Radweg aufheben, damit andere Menschen nicht fallen und sich verletzen. Er möchte nicht schuld sein, wenn etwas passiert.
Dieser Gedanke wird in einer dermaßenen Perfektion ausgefeilt, dass er sich im Grunde immer im Kreis dreht. Er fühlt sich insgeheim dann dafür verantwortlich, dieses Hindernis zu entfernen.
Magisches Denken im allgemeinen psychologischen Sinn ist somit der zwanghafte Glaube eines Menschen, dass seine Gedanken, Worte oder Handlungen auf magische Weise ein bestimmtes Ereignis hervorrufen oder verhindern können.
Peter Wittkamp in „Für mich soll es Neurosen regnen“, Seite 40 (ebook Version)
Das Buch rüttelt auf und zeigt, dass ein Zwang keinen bestimmten Personenkreis bevorzugt. Jeder kann ihn haben!
Das Urige bei diesem Krankheitsbild ist, dass jeder Zwangskranke sich durchaus bewusst ist, dass er unlogische Sachen macht.
Der Herd ist auch beim neunten Mal kontrollieren noch aus. Wie auch bei den 8 Malen davor. Es entsteht ein innerer Drang die Handlungen doch noch mal zu wiederholen. Diese Wiederholungen reichen dann auch nicht. Es könnte ja sein, dass etwas übersehen wurde. Also nochmal von vorn.
In meinen Augen macht genau das auch dieses Buch aus. Herr Wittkamp ist absolut authentisch und beschreibt wirklich in allen (!) Einzelheiten, was er für Zwänge mit sich rumschleppt und wie ihm das vor allem auch selbst auf den Keks geht.
Das macht ihn als Person unglaublich sympatisch, wenngleich ich mit ihm keinesfalls tauschen möchte.
Für mich war das Buch ein wahrer 5 Sterne Kandidat. Und zwar ohne Abzüge.
Die Vielfalt der Zwänge betrifft mich als Person nicht wirklich, doch es hat schon den einen oder anderen AHA Moment gegeben. Warum habe ich mal dieses oder jenes genau so gemacht etc. pp.
Auch wenn du gar nichts mit dem Thema zu tun hast, lohnt sich das Lesen allemal. Es gibt ein Leben außerhalb des Tellerrandes 😉
Das Buch wird bewertet mit ✭✭✭✭✭ in der Buchkobold Skala.
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